Schulwandbilder Geschichte und Forschung
Die Anfänge des Schulwandbildes sind eng mit der Geschichte der Schulbuchillustration verknüpft. Nachweislich werden vergrößerte Abbildungen aus Basedows Elementarwerk schon 1776 beim öffentlichen Examen im Dessauer Philanthropin als Wandbilder verwendet. Erst nach der Erfindung und Verbreitung der Lithographie ab 1800 wird es aber technisch möglich und ökonomisch erschwinglich, die Anregung der Philanthropen praktisch umzusetzen und große, der ganzen Klasse sichtbare Bilder für den Unterricht herstellen zu lassen.
Eine der ersten Bilderserien, die daraufhin entsteht, sind die "Methodischen Bildertafeln zum Gebrauch beim Anschauungsunterricht in Elementar- und Kleinkinderschulen, besonders beim Taubstummen-Unterricht" aus dem Jahre 1837, herausgegeben von Ludwig Reimer und Carl Wilke.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts löst sich die enge Verflechtung von Buchbild und Wandbild zunehmend auf. Schulwandbilder erhalten einen eigenen didaktisch-methodischen Status neben dem Schulbuch. Die Hauptblütezeit dieses Unterrichtsmediums beginnt, die das erste Drittel des 20. Jahrhunderts umfasst.
Vor allem für den ersten Anschauungs- und Sprachunterricht, die Fächer Religion, Erdkunde, Geschichte, Naturkunde, aber auch für den Rechen-, Naturlehre, Technologie-, Zeichen- und sogar für den Turnunterricht erscheinen seit den 1870er Jahren Hunderte von Serien mit meist Dutzenden von Einzelbilden. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den didaktisch-methodischen Diskurs der Zeit.
Durch die zunehmende Verbreitung technischer Projektionsmedien wie Dia, Film und Overheadfolien büßt das Schulwandbild besonders seit Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts seine zentrale unterrichtliche Stellung ein. Nur noch wenige Wandbildserien erscheinen auf dem Markt. Zudem treten vielfach gedruckte Photographien an die Stelle der zuvor künstlerisch gestalteten Schaubilder.
Zur Forschungsrelevanz von Schulwandbildern
Die Bedeutung bildlicher Quellen für die Erziehungswissenschaft wurde lange Zeit verkannt. Ikonische Materialien spielten in der bildungshistorischen Forschung bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts nur eine marginale Rolle. Erst mit der Abkehr der Historischen Pädagogik von den Geisteswissenschaften und ihrer verstärkten Zuwendung zur Real- und Sozialgeschichte und zu mikroperspektivischen Fragestellungen lockerte sich die Fokussierung auf Textquellen. Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch der hohe historische Quellenwert von Schulwandbildern entdeckt. Denn diese visuellen Lehrmittel fungierten über ein Jahrhundert lang bis in die 60er Jahre als zentrale Unterrichtsmedien neben dem Schulbuch. In ihnen spiegelt sich deshalb das gesamte Schulwissen einer Zeit.
Für die bildungsphilosophische Forschung
Die schulischen Wandbilder haben als zentrale Bildmedien in den Schulen über Generationen hinweg auf die Vorstellungen von Geschichte und der eigenen Identität eingewirkt und ein national-kulturelles Selbstverständnis geprägt. Schulwandbilder als historische Bildmedien gehören damit in besonderer Weise in den Kontext einer Politik der Bilder. Sie sind Fiktionen ihrer Zeit und sind als historisch kontingente symbolische Formen der Selbst- und Weltdeutung Teil des kulturellen Gedächtnisses europäischer Gesellschaften. Schulwandbilder sind damit Elemente einer „Wirklichkeitspolitik“, in der es um die Schaffung einer fiktionalen Normativität in Form einer bestimmten Anordnung des Wirklichen geht. So kann über die Quellen erforscht werden, was normativ handlungswirksam werden sollte, denn über die Bilder wurden bestimmte Raum-Zeit-Anordnungen sowie ein sozialer Geschmack eingeübt.
Für die kulturgeschichtliche Forschung
Schulwandbilder sind klassische Quellen der Zeitgeistforschung. Denn in ihren Inhalten und formalen Gestaltungselementen manifestieren sich vielfältig die alltäglichen Sichtweisen und Meinungen, Stereotype und Einstellungen, Geschmacks- und Gefühlstendenzen ihrer Entstehungszeit. Außerdem liefern sie einen reichen Fundus für unterschiedliche fachspezifische historische Fragestellungen.
Für die kunstwissenschaftliche Forschung
Schulwandbilder dienten nicht nur der Unterweisung, sondern verfolgten durchgängig auch kunsterzieherische Intentionen und wirkten auf die künstlerische Geschmacksbildung der Heranwachsenden. Deshalb sind sie auch aufschlussreiche Dokumente der Alltagsästhetik. Daraus ergeben sich zahlreiche wichtige kunsthistorische und kunsttheoretische Forschungsaspekte.
Für die didaktisch-medienpädagogische Forschung
An schulischen Anschauungsbildern lassen sich alle zentralen didaktischen Fragen der visuellen Veranschaulichung studieren. Außerdem kommt ihnen in Anbetracht der zunehmenden Ikonisierung unserer Lebenswelt exemplarische Bedeutung für die aktuelle medienpädagogische Diskussion um die Förderung der "visual literacy" zu.